«Schwierige» Fische
20 | 04 | 2022 PraxisText: Tomasz Sikora 04754
20 | 04 | 2022 Praxis
Text: Tomasz Sikora 0 4754

«Schwierige» Fische

Von der Zuschrift eines Lesers angeregt, ist «Petri-Heil» der Frage nachgegangen, ob es besonders erfahrene und misstrauische Fische gibt, die sich partout nicht fangen lassen.


Besonders den Spinnfischern dürfte das Phänomen bekannt sein: Der Köder bewegt sich verführerisch und genau an der richtigen Stelle – und tatsächlich, aus dem Augenwinkel sehen wir, wie sich etwas auf ihn zubewegt. Der kapitale Fisch nähert sich dem Köder und verfolgt ihn über eine schier endlose Zeit. Der Puls geht hoch, die Hände zittern, man rechnet jeden Sekundenbruchteil mit dem Biss. Doch der kommt nicht. Nach längerer Begutachtung wendet sich der Fisch desinteressiert von unserem Köder ab und schwimmt gemächlich davon. Und wir fragen uns voller Frustration und Unverständnis: «Was habe ich bloss falsch gemacht?»

Von einem solchen Erlebnis inspiriert, hat sich ein interes­sierter «Petri-Heil»-Leser vorgenommen, viel Zeit am Fluss zu verbringen, um die darin vorkommenden Alet besser zu verstehen. Sein Fazit: Es gibt Fische einer Population, die sich eher fangen lassen als andere. Einen grossen Teil der Fische, egal ob sie eher räuberisch sind oder vor allem Pflanzen und Insekten fressen, könne man trotz ihres manchmal hohen Misstrauens immer wieder überlisten. Es gebe aber Individuen, die sich einfach nicht fangen liessen, unabhängig davon, welchen Köder man auf welche Weise anbiete.


«Je mehr geangelt wird, desto scheuer werden die Fische in einem Gewässer.»

In der wissenschaftlichen Fachwelt wird in diesem Zusammenhang vom sogenannten «Schüchternheitssyndrom» gesprochen. Insbesondere für Karpfen ist es gut untersucht. In einer Studie konnte der in Fischerei­kreisen bekannte Berliner Fischereiforscher Robert Arlinghaus­ vor ein paar Jahren zeigen, dass viele Karpfen, auf die vorher noch nicht geangelt wurde, bereits nach kurzer Zeit lernen, Hakenködern erfolgreich auszuweichen. Selbst in einem ganzen Jahr lassen sich demnach trotz aller anglerischer Innovationen und Anstrengungen nur 20 bis 30 % der Population eines Gewässers mit der Angel fangen. Zu ähnlichen Schlüssen gelangten schon früher kanadische Forscher bei vergleichbaren Untersuchungen mit Regen­bogen­forellen. Selbst jener Teil der Population, der besonders häufig gefangen worden war, begann nach rund einer Woche, Hakenködern auszuweichen. 

 Karpfen lernen sehr schnell: Bei hohem Befischungsdruck wird das Futter  vor dem Fressen genauestens geprüft. © R. Stefanek – stock.adobe.com

Karpfen lernen sehr schnell: Bei hohem Befischungsdruck wird das Futter vor dem Fressen genauestens geprüft. © R. Stefanek – stock.adobe.com

Es handelt sich um Erkenntnisse, die besonders im Zusammenhang mit Besatzmassnahmen von Bedeutung sind. Sie zeigen, dass ein geringer Fangertrag nicht mit einem geringen Fischbestand einhergehen muss. So zeigte sich in Arlinghaus’ Versuchen, dass die Fische nachweislich am Angelplatz waren – sie hatten bloss den Hakenköder verschmäht. Es folgert sich also, dass Besatz nicht nur aus genetischen Gründen kritisch gesehen werden muss, sondern auch, weil er oftmals zu über­gros­sen Fischbeständen führen könnte.

Dasselbe gilt für den König unter den Schweizer Raub­fischen – den Hecht. Zwar scheint es keine vergleichbaren Untersuchungen zu Hechten zu geben. Doch wer im Netz recherchiert, stösst auf beeindruckende Bewegt­bilder. Sie zeigen, wie Hechte sowohl Natur- als auch Kunstköder lange begutachten, um sie letztlich doch links liegen zu lassen. Selbst Aufnahmen von Hechten, die ähnlich grosse Artgenossen oder andere Fische im Drill beobachten, lassen sich finden. Ganz so, als würden sie sich die Szenerie anschauen, um daraus zu lernen.

Die Ergebnisse überraschen den begeisterten Spinn­fischer und Biologen Andrin Krähenbühl nicht: «Ich bin davon überzeugt, dass gerade alte und grosse Fische lernfähig sind.» Wäre dem nicht so, würden sie in stark befischten Gewässern, von denen es in der Schweiz viele gibt, gar nicht erst so alt werden, gibt sich der Biologe überzeugt. Gemäss dem emeritierten Berner Professor für Fisch- und Wildtiermedizin Helmut Segner lernen Fische primär über den Schmerz – eine unangenehme Erfahrung, die sie nachvollziehbarerweise vermeiden wollen. Entsprechend ist davon auszugehen, dass ein Lerneffekt nicht nur bei Catch-and-Release-Szenarien wie in den genannten Untersuchungen eintritt, sondern auch dann, wenn Fische im Drill verloren gehen. In der Fachwelt wird intensiv darüber debattiert, ob ein solches Lernverhalten vererbbar ist. Biologe Krähenbühl sagt dazu: «Ich könnte mir vorstellen, dass einfach gewisse Charakterzüge wie zum Beispiel Misstrauen durch die Fischerei gefördert werden.» So könne es dann eben sein, dass ein Fisch schwer zu fangen ist, obwohl er noch nie mit einem Angelköder in Berührung gekommen ist. 


«Wer Gehirnschmalz und Ausdauer mitbringt, fängt auch die Scheuen und Grossen.»

Obwohl alles auf eine Lernfähigkeit bei Fischen hindeutet, glaubt Krähenbühl nicht, dass es den unfangbaren Fisch gibt. «Der Erfolg hängt zum einen davon ab, wie wir fischen. Zum anderen, wie geschickt wir fischen. Und drittens vielleicht noch, wo wir fischen.» Wenn beispielsweise, wo erlaubt, der lebende Köderfisch angeboten werde, könnten die Raubfische fast nichts daraus lernen – schliesslich könnten sie ja nicht einfach verhungern. Das Verbot des lebenden Köderfisches stellt also einen ethisch-moralischen Fortschritt dar, führt aber dazu, dass die Fischerei anspruchsvoller wird. 

 Egli sind fast immer im Schwarm unterwegs und kommunizieren miteinander. An stark befischten Spots ist ihr Fang oft nur in ganz kurzen Zeitfenstern möglich.  © Fotos: Mps197 – stock.adobe.com

Egli sind fast immer im Schwarm unterwegs und kommunizieren miteinander. An stark befischten Spots ist ihr Fang oft nur in ganz kurzen Zeitfenstern möglich. © Fotos: Mps197 – stock.adobe.com

Auch weitere Faktoren spielen laut Krähenbühl eine Rolle bei der Frage, wie gut ein Fisch zu fangen ist. So gebe es Tage und Jahreszeiten, wo er hungriger und weniger misstrauisch sei. Besonders die Schon- und Laichzeiten sind hierbei von Bedeutung, denn Fische, die schon lange keine Köder mehr gesehen haben oder nach dem zehrenden Laichgeschäft wieder zu Kräften kommen müssen, dürften einen Köder tendenziell weniger verschmähen, als wenn sie schon zahlreichen Ködern begegnet und sattgefressen sind. Auch spielten Mond- und Witterungsverhältnisse, bei denen die Fische einfach bissiger seien, eine Rolle, so Krähenbühl – Stichworte Vollmond, Neumond, stabile Wetterphasen für Zander und so weiter.

Eine variationsreiche Köderwahl sieht Kunstköderfischer Krähenbühl als wichtig an, wenn es um den Fang von erfahrenen­ und grossen Fischen geht: «Fischen wir einen Köder oder eine Ködergrösse, welche die anderen Angler nicht benutzen, kann uns dies einen Vorteil verschaffen. Nehmen die grösseren Egli vielleicht in einem Moment die normalen Gummifische mit Schaufelschwanz gerade schlecht, kann sie vielleicht eine Krebsimitation doch noch zum Biss verleiten.»

Zu guter Letzt gibt der Experte zu bedenken, dass auch die Standortwahl von entscheidender Bedeutung sein kann, denn: «Grosse Fische halten sich häufig nicht am gleichen Ort auf wie ihre kleineren Artgenossen. So besetzt eine grosse Bachforelle meist den besten Platz im Bach. Im See sind die grossen Hechte den Grossteil des Jahres über nicht im flacheren Wasser bei den kleineren Hechten anzutreffen, sondern stehen vielleicht irgendwo im Freiwasser des Sees.» 

Grosse Fische sind also nicht unfangbar, aber: «Wir müssen viel nachdenken und spekulieren, Erfahrungen sammeln und etwas anders machen als die anderen Fischer, um eine gute Chance auf grosse beziehungsweise intelligente Fische zu haben. Genau das macht aus meiner Sicht den Fang von Grossfischen so speziell.»

 

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