[Gastbeitrag WWF:] <br />Neues Gütesiegel «Gewässerperle PLUS»
18 | 05 | 2022 SchweizText: Antonia Eisenhut & Walter Wagner 05127
18 | 05 | 2022 Schweiz
Text: Antonia Eisenhut & Walter Wagner 0 5127

Gastbeitrag WWF:
Neues Gütesiegel «Gewässerperle PLUS»

Als erster Fluss der Schweiz wurde der Beverin im Oberengadin mit dem Gütesiegel «Gewässerperle PLUS» ausgezeichnet. «Gewässerperle PLUS» feiert ökologisch wertvolle Bäche und Flüsse und das Engagement der Menschen dahinter.


Fischer wissen es leider nur allzu gut: Die grosse Mehrheit der Fliessgewässer weist grosse Defizite auf. Nur noch rund 20 Prozent der Schweizer Bäche und Flüsse erfüllt grösstenteils die geltenden Ziele der Gewässerschutzverordnung. Doch es gibt sie noch, die ökologisch wertvollen Gewässer der Schweiz. Sie verdienen unseren Einsatz, unsere Wertschätzung und unseren Schutz. Zumal sich ein grosser Teil der nichtfischenden Bevölkerung gar nicht bewusst ist, welcher Schatz sich da vor der Haustüre befindet.


Ein neues Instrument für unsere Gewässer

Das Gütesiegel «Gewässerperle PLUS» zielt genau darauf ab, dieses Bewusstsein in der breiten Bevölkerung zu schärfen. «Gewässerperle PLUS» wurde vom Verein Gewässerperlen in enger Zusammenarbeit mit dem WWF entwickelt und zeichnet nicht nur ökologisch wertvolle Bäche und Flüsse, sondern auch das Engagement der Menschen dahinter aus. Schliesslich ist ein funktionierender und intakter Wildbach heutzutage überhaupt keine Selbstverständlichkeit mehr. Das weiss niemand besser als wir Fischer, die uns mit viel Engagement und Aufwand für solche Gewässer einsetzen. Ein intaktes Fliessgewässer trägt auch zum Schutz vor Naturgefahren und zur Gewährleistung von sauberem Trinkwasser bei und meistert die Herausforderungen des Klimawandels besser als ein beeinträchtigtes Gewässer. Das neue Gütesiegel will auf all diese Aspekte hinweisen und so ein breiteres Engagement der lokalen Bevölkerung für «ihre» Gewässerperle bewirken. Das bestehende Schutzinstrumentarium reicht leider oftmals nicht aus, da die Begehrlichkeiten der Wasserkraft und anderer Nutzungsgruppen nicht kleiner werden. Mit der Auszeichnung «Gewässerperle PLUS» schafft man eine weitere niederschwellige Aufwertung, die signalisiert, dass den Trägern der Wert des Gewässers durchaus bewusst ist.

 Die Chamuera, welche 2021 mit dem Label «Gewässerperle PLUS» ausgezeichnet wurde. © Fabian Fopp

Die Chamuera, welche 2021 mit dem Label «Gewässerperle PLUS» ausgezeichnet wurde. © Fabian Fopp

Ein intaktes Fliessgewässer ist stets ein Hotspot der Biodiversität und nicht nur für Fischer, sondern auch für grosse Teile der Bevölkerung ein attraktives Naherholungsgebiet. So etwas schafft Stolz, gemeinsame Identifikation und Freude. «Gewässerperle PLUS» will so den Trägerschaften, beispielsweise einer Gemeinde oder einem Pachtverein, einen breiten Mehrwert bieten. Das Label soll diese Naherholungsräume sichern und deren nachhaltige und schonende Nutzung gewährleisten. Zudem kann der Verein Gewässerperlen mit seinem Netzwerk Unterstützung bieten bei der Finanzierung von Massnahmen oder bei der Lancierung von Forschungsprojekten. Er bietet eine Plattform zum Austausch und zur gemeinsamen Kommunikation mit anderen Trägerschaften. 

Das Label bringt damit Gleichgesinnte an einen Tisch und schafft vor Ort Begeisterung und Engagement für den Schutz und Erhalt der Gewässer. Es wird vorwärts gedacht und Visionen werden gemeinsam entwickelt und umgesetzt. Man freut sich gemeinsam an «seiner Gewässerperle PLUS», entscheidet selbst in ihrem Sinne und ebnet so den Weg für weitere Zusammenarbeiten.


Erhalt, Schutz und Entwicklung 

Trägerschaften, welche sich um das Gütesiegel bewerben, müssen in der Region verankert sein und ihre Kandidatur in zwei Bereichen begründen: 

  1. Die Trägerschaft definiert eine Zertifikatstrecke von mindestens zwei Kilometern Länge. Anhand von 13 Ausschlusskriterien muss der Nachweis erbracht werden, dass es sich um eine ökologisch wertvolle Strecke handelt. Auch revitalisierte Strecken sind zugelassen.

  2. Die Trägerschaft etabliert einen partizipativen Prozess und stellt sicher, dass sich alle lokalen Parteien, die ein Interesse am Gewässer haben, einbringen können. Im Rahmen dieses Prozesses wird ein Entwicklungsplan erarbeitet, welcher festhält, wie der Erhalt, aber auch die Weiterentwicklung des hohen ökologischen Werts während der Zertifikatsdauer sichergestellt wird. Der Entwicklungsplan berücksichtigt nicht nur die zertifizierte Strecke, sondern auch deren Unter- oder Oberlauf sowie die Seitengewässer. Der Entwicklungsplan muss Massnahmen zur Sensibilisierung und Bildung vorsehen und er überprüft, ob Massnahmen in den Bereichen Aufwertungen, Naherholung und Neobiota notwendig sind und diese allenfalls definieren. Auch Forschungsarbeiten können im Rahmen des Entwicklungsplans angegangen werden.

Im Idealfall wird die zertifizierte Strecke durch die Umsetzung der Massnahmen in einer nachfolgenden Zertifizierungsperiode verlängert und der Bereich des Entwicklungsplans ebenfalls ausgeweitet. Die Auszeichnung «Gewässerperle PLUS» wird jeweils für fünf Jahre vergeben.


Beispiel einer Aufwertung im Rahmen des Gütesiegels «Gewässerperle PLUS». 

Erstzertifizierung (links)

Der obere Abschnitt des Gewässers ist zertifiziert. Im Rahmen des Entwicklungsplans verpflichtet sich die Trägerschaft, das Wanderhindernis und die Uferverbauungen im Unterlauf zu beseitigen. 


Rezertifizierung nach 5 Jahren
(rechts)

Der Entwicklungsplan wurde umgesetzt, Wanderhindernis und Uferverbauung im Unterlauf sind behoben. In der Folge wird der Unterlauf ebenfalls zertifiziert. Im neuen Entwicklungsplan verpflichtet sich die Trägerschaft, die Beeinträchtigungen im Mündungs­gewässer zu beheben.



Das Beispiel Beverin

Den Anfang machte die Gemeinde Bever, welche am 25. Juni 2021 in einer feierlichen Zeremonie das Zertifikat für den Oberlauf des Beverins erhalten hat. 

Die Gemeinde Bever hat das Potenzial eines Gütesiegels für ökologisch wertvolle Gewässer sofort erkannt und sich tatkräftig an dessen Entwicklung beteiligt. Sie hat eine lebendige Beteiligung etabliert: Vertretende von kantonalen und kommunalen Behörden, des Tourismus und dessen Leistungstragenden, von Landeigentümern und -bewirtschaftenden, der Privatwirtschaft, von Verbänden und Vereinen sowie der Wissenschaft machen hier gemeinsame Sache. Sie alle vereint die Haltung, dass man die Qualität des Beverin und des Val Bever unbedingt erhalten will. Die lokale Bevölkerung und Besuchende sollen den Wert des Gewässers kennen und sich entsprechend verhalten. Mit den umgesetzten und geplanten Revitalisierungen und einer weiteren Zertifizierung in der Region entsteht hier eine Gewässerlandschaft, die exemplarisch aufzeigt, was «Gewässerperle PLUS» bewirken soll: Wenn die Leute den Wert und das Potenzial «ihrer» Gewässer erkennen und schätzen, dann haben sie auch den Wunsch, diese zu erhalten, zu schützen und weiter aufzuwerten. 

Fadri Guidon, der Gemeindepräsident von Bever, zieht heute folgendes Fazit: «Mit diesem Projekt startet man eine positive Entwicklung. Man positioniert sich im immer wichtiger werdenden Naturbereich. Mit diesem Prozess hat man die Möglichkeit, alle am Gewässer Beteiligten mit ins Boot zu nehmen und gemeinsam etwas Schönes zu entwickeln. Allein schon diesen Prozess in Gang zu bringen, kann positive Auswirkungen auf die ganze Gemeinde haben. Gemeinden, die ihren Fluss zertifizieren lassen möchten, rate ich: Macht es, wartet nicht zu, ihr habt nichts zu verlieren, ihr könnt nur gewinnen.»

 Naturnahe Fliessgewässer sind schweizweit von vielen Seiten unter Druck. © Lukas Bammatter

Naturnahe Fliessgewässer sind schweizweit von vielen Seiten unter Druck. © Lukas Bammatter


Interessiert? 

Das Projekt «Gewässerperle PLUS» befindet sich in der Pilotphase. Bis Mitte 2024 haben wir noch Plätze für Pilotzertifizierungen; in diesen Fällen werden keine Zertifizierungsgebühren fällig und die Erarbeitung der Kandidaturdossiers wird vom WWF unterstützt und finanziert.

 

Mehr Informationen unter gewaesserperleplus.ch

Detaillierter Beschrieb der Zertifizierungskriterien | PDF

 

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