23 | 05 | 2019 | Video | Diverses | 0 | 5505 |
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Artifishal – Ein bewegender Film über den Niedergang der US-Westküstenlachse
Filmbesprechung
Der Weg zum Aussterben ist voller guter Absichten
Yvon Chouinard, der Patron der Outdoor-Firma Patagonia und seines Zeichens querdenkerischer Unternehmer, hat einen Film über die Lachszucht realisieren lassen, der es in sich hat.
Wenn eine Bekleidungs-Firma einen Film lanciert, darf man sich auf perfekte Aufnahmen unberührter Landschaften, auf Sonnenschein und Pulverschnee gefasst machen. Der Konsument in der Wildnis, bestens ausgerüstet für das grosse Abenteuer, für das Aufeinandertreffen und Kräftemessen zwischen Mensch und Natur. Die Outdoor-Bekleidungsfirma Patagonia geht nun einen anderen Weg, der – das darf vorausgeschickt werden – hoffentlich eine Sogwirkung entfaltet.
Am Anfang ist die gute Absicht
Mit der Besiedelung des amerikanischen Kontinents hielt auch ein simples Naturverständnis Einzug: Die Natur und mit ihr die Tiere, das Wasser, die Pflanzen und der Boden sind für uns Menschen da. Wir dürfen sie uns untertan machen und davon nehmen, soviel uns beliebt und für unser Wohlergehen von Nutzen ist. Ergeben sich daraus Probleme, reagieren wir rational und analytisch. Wir vereinfachen das Problem, indem wir möglichst viele Faktoren kontrollieren. Als Beispiel im Film dazu: Man braucht Strom. Also baut man Dämme und nutzt den Lebensraum der Lachse, sodass diese nicht mehr laichen können. Damit die Lachsbestände erhalten bleiben, fängt man laichreife Lachse und sorgt selbst für deren Ablaichen, setzt die Brütlinge wieder ein. Bestechend dabei scheint: Man kann eine florierende Fischerei lancieren und dennoch vom Fluss Strom gewinnen. Eine in der Theorie wunderbar einfache Lösung die – und das ist die leider so unvermeidbare wie klare Aussage des Films – ganz grundlegend falsch ist.
Die Mentalität ist das Problem
Es ist diese typisch amerikanische Mentalität mit einer beispiellosen Erfolgsgeschichte, die im Kern ja gar nichts Verwerfliches hat: Wenn wir ein Problem haben wegen unseres Fortschritts, dann lösen wir das, und zwar in der Logik des Fortschritts selbst. Und nicht über irgendeinen ethischen Umweg von Verzicht und Respekt und Sinn für das Unkontrollierbare. So ist man schliesslich bis auf den Mond gekommen und hat den Kommunismus erledigt. Aber diese Mentalität, die der Natur neben all der Faszination für Wilderness eben vor allem nach agrikulturellen Gesichtspunkten begegnet, hat seine Schattenseiten und produziert seine Opfer. Eines dieser Opfer ist der Lachs, den man vermeintlich wie Mais ansäen oder wie Geflügel züchten kann. Dank der modernen Technik scheint es eigentlich keine Grenzen mehr zu geben. Die «Erfolgsgeschichte» dieser Idee sieht nicht gut aus: Von den US-amerikanischen Lachspopulationen sind 40 Prozent ausgestorben und die anderen auf der Liste der gefährdeten Tierarten.
Wunderwesen Lachs
Über Jahrtausende bildete der Lachs die Grundlage des menschlichen Lebens an der amerikanischen Westküste. Und noch heute sind die Lachse für das Wohlergehen des gesamten westamerikanischen Ökosystems von eminenter Bedeutung. Damit hängt auch das Wohlergehen der Küstenbevölkerung zusammen. In den Dörfern, in welchen die Fischerei auf die wilden Lachse und Steelheads eingebrochen ist, mehren sich Alkoholismus, Suizide und Drogensucht. Der Profit hingegen fliesst ab – ein typischer Fluch unserer Zeit – in Aktienfirmen mit Sitz irgendwo in der Welt, die mit dem Lachszucht-Business gut verdienen und keine Rücksicht auf die Verhältnisse vor Ort nehmen.
Der Lachs ist ein lebendiges Destillat des Meeres, er bringt einen Teil der vom Festland ins Meer gewaschenen Nährstoffe wieder zurück, indem er nach dem Laichgeschäft stirbt und damit die Lebensgrundlage für eine Vielzahl von Organismen bildet. Eine Szene des Films zeigt, wie die Lachszuchten dies auszugleichen versuchen. Die gefangenen Lachse werden nach dem Ablaichen getötet und in Blöcken gefroren. Diese werden per Hubstapler mehrmals hochgehoben und fallen gelassen, bis schliesslich die einzelnen, immer noch tiefgefrorenen Lachskadaver von Schulklassen im Wald und in den Flüssen verteilt werden.
Der wirtschaftliche Faktor
Nicht nur das Geschäft mit Outdoor-Bekleidung ist Big Business, der Lachs in all seinen Facetten ist wirklich Big Business. Finanziert wird die Lachszucht oft genug über den Steuerzahler, denn der Fortbestand der Lachse ist ja eine gute Sache. Und wenn man mit ein paar Millionen Dollar ebenso viele Lachsbrütlinge produzieren kann, die sich dann selber vermehren können, müsste das ja eigentlich eine wunderbare Rechnung sein. Einen Dollar pro Lachs aufzuwenden ist jetzt nicht so abwegig. Wenn die Überlebenschance dieser Lachse aber bei weniger als 0,1 Prozent liegt, kommt so ein Lachs teuer, sehr teuer. Dann ist man bei über 1000 Dollar pro adultem Fisch, und das rechnet sich dann nur noch für die Aufzuchtanlagen selbst. Fisch-Aufzuchtanlagen, sogenannte «Hatcheries», die für den Fortbestand der Lachse sorgen sollen, sind denn auch ein gutes Geschäft. Bereits 174 von ihnen findet man an den ehemals so wichtigen Lachsflüssen im US-Bundesstaat Washington. Insgesamt werden jedes Jahr 5 Milliarden Lachse in die Nordpazifik-Flüsse eingesetzt. Der Effort für die Lachse wird immer teurer und ist unter dem Strich eine kontraproduktive Geldverschwendung, die den gravierenden Nebeneffekt hat, dass sie die Wildlachs-Populationen zum Verschwinden bringt. Und mit den Wildlachsen verschwinden die Killerwale und wahrscheinlich noch viele Tierarten mehr.
Beispiel Norwegen
Der Film macht einen Abstecher nach Norwegen, wo der Journalist Mikael Frödin eine Kamera in einen Rundkäfig voller siecher Lachse in erbärmlichem Zustand hält. Es ist ein schwer verdaulicher Anblick, der die Skrupellosigkeit der Lachs-Industrie auf den Punkt bringt. Die Lachszucht erschien einst als die perfekte Lösung, wie Frödin erklärt. Sie sollte die Wildpopulationen vom Fangdruck entlasten und es hätte genug Fisch für alle. Billigen Lachs für den Konsumenten und wilden Lachs für den Fischer, so einfach wäre das gewesen, wären da nicht die Probleme von extremer Verschmutzung, Parasiten und ausgebrochenen Fischen, die sich mit den Wildarten fortpflanzen. «Wir waren so dumm!», resümiert Frödin. Immerhin dürfte so langsam das Ende der Netzkäfig-Ära angebrochen sein: In Washington werden die Netzkäfige ab 2022 verboten, in Norwegen dürfte sich die mächtige Lachszucht-Lobby aber noch so lange wie möglich dagegen wehren.
Pionier-Rolle von Patagonia
Yvon Chouinard, der Patron von Patagonia, ist ein schillernder Unternehmer, der viel Land in Chile kaufte, dieses der Regierung schenkte mit der Auflage, das Land zu Nationalparks zu erklären. Er schrieb unter anderem ein Buch über unkonventionelle Führungsmethoden («Lass die Mitarbeiter surfen gehen») und liess nun anstelle eines klassischen Werbefilms einen Film produzieren, der die Fischer und Outdoor-Begeisterten wachrütteln soll. Seine Message für die ökologischen Probleme dieser Welt ist klar: Wo es gelingt, die rücksichtslosen Grosskonzerne von den natürlichen Ressourcen fernzuhalten, kann eine lokale Wirtschaft nachhaltig prosperieren und die Ökosysteme können erhalten werden. Die Natur ist für uns da, wenn wir ihr mit Respekt begegnen. Chouinard hat begriffen, dass gesunde Wildlachs-Bestände für den künftigen Verkauf von Patagonia-Wathosen elementar wichtig sind. Es ist zu hoffen, dass dieses Verhalten Schule macht in der Angelindustrie. Denn der Einsatz für gesunde Gewässer wird mit Fischen belohnt werden. Und wo es Fische hat, lässt sich auch Angelgerät verkaufen. Man muss sich nicht auf den Profit fokussieren. Profit stellt sich ein, wenn man alles andere richtig macht.
PS: Was bedeuten die Misserfolge der Lachszuchten für die Besatzpolitik unserer Gewässer?
Schreibt uns Eure Meinung, wir gehen in der kommenden Ausgabe darauf ein.
Hier kann man die Petition «Stoppt Europas schmutzige Fischfarmen» online unterschreiben.
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