![Eglibaumprojekt Thunersee [| Abschlussbericht]](https://petri.dimaster.io/assets/cache/600/600/media/Artikel/2021/11/Eglibaum/006.jpg)


01 | 05 | 2020 | Schweiz | Praxis | ![]() | ![]() |
01 | 05 | 2020 | Schweiz | Praxis |
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Es ist ein magischer Moment. Plötzlich ist da dieser mächtige Schatten im Wasser, der aussieht wie ein Baumstamm. Man traut seinen Augen kaum. Kann das sein? Nur ein Zittern der Flossen verrät, dass im unwirklich langen Körper Leben steckt. Nicht nur für Jungfischer hat so eine Begegnung etwas Märchenhaftes. Es ist, als würde man im verwunschenen Wald einen schlafenden Drachen finden. Grosse Raubtiere, und dazu zählt ein kapitaler Hecht ohne Zweifel, verkörpern das Wilde, Gefährliche und Furchterregende der Natur. Das ist ein Teil der Faszination, den der Esox lucius wie andere grosse Raubfische auf Angler ausübt, seit sie die ersten Haken aus Hartholz oder Knochen schnitzten.
Für viele Petrijünger ist der Fang ihres ersten grossen Hechts rückblickend der eigentliche Anfang ihrer «Karriere». Ein Ritterschlag. Ab jetzt gilt es ernst! Mit einem Hecht «am Hut» wird man ernst genommen als Mitglied der Zunft. Da klingen noch uralte Rituale und Geschichten mit, als junge Männer auszogen, um einen Bären zu töten oder zumindest eine Braut heimzubringen. Bald geht das nächste Zeitfenster dafür auf ...
Entsprechend emotional aufgeladen ist der 1. Mai, wenn in grossen Teilen der Schweiz die Hechtschonzeit endet. Die Erwartungen der Petrijünger sind riesig. Das Fischen in den ersten Tagen der Saison kann tatsächlich spektakulär gut sein, aber manchmal ist es auch frustrierend schlecht. Wie so oft beim Fischen geht es ums Timing. Im Idealfall erholen sich die grossen Hechtmamis in Ufernähe von den Anstrengungen der Fortpflanzung. Dazu gehört das Ersetzen der vielen Kalorien, die sie in die Zukunft ihres Nachwuchses investiert haben. In so einem Moment funktionieren auffällige Köder, die blinken, glitzern, leuchten, rasseln und Druckwellen produzieren. Spinnfischer sind klar im Vorteil. Es braucht allerdings nicht viel, und die mächtigen Hechtinnen sind satt oder von den ersten, plumpen «Anmachversuchen» abgetörnt. Sie ziehen sich dann in ruhigere Regionen zurück, nicht selten so tief und weit draussen, dass man vom Ufer aus keinen Stich mehr hat. Jetzt schlägt die Stunde der Finesse- und Fliegenfischer: Jene genervten Räuber, die sich trotz allem noch nicht vom sonnenerwärmten Ufer verabschieden mögen, reagieren möglicherweise auf einen duftenden, schlängelnden Gummi oder einen pulsierenden Streamer.
Im Mai gibt es endlich wieder mehr zu sehen am Wasser, vor allem an grösseren Stillgewässern. Wer genauer hinschaut (eine Polbrille hilft enorm), entdeckt Zeichen und Fische. Es gibt Kollegen, für die ist das der grösste Kick überhaupt. Die Beute mit geschärften Sinnen suchen, und die Welt dabei intensiv wahrnehmen: Die Sonnenwärme auf der Haut, das Rascheln des Schilfs im Wind, das Vogelgezwitscher, der Geruch von Algen oder frisch gemähtem Gras. Und dann endlich der ersehnte Umriss unter der Oberfläche.
Zu den Arten, die sich in der Maisonne an der Oberfläche vergnügen, gehören Schleien, Karpfen, Rotfedern und Alet. Ob sie einen Köder von der Oberfläche schlürfen, ist nie sicher. Wenn man sie so überlisten kann, sind das wunderbare Momente. Ein bewährter Köder ist Weiss- oder Toastbrot, einfach durch die Rinde gehakt. Brot fängt übrigens auch dort, wo es nicht an Wasservögel verfüttert wird. Auch Forellen und Äschen mögen es, aber das gilt heutzutage als geradezu unanständiges Geheimwissen. Sind die Fische nah am Ufer, funktioniert mit fein abgestimmtem Gerät die unauffällige Präsentation an freier Schnur. Muss man weiter als zehn Meter werfen, hilft ein kleiner, fest montierter Zapfen mit ein paar Gramm Blei beschwert.
In unseren Breiten beginnt der Vollfrühling üblicherweise im Mai. Seinen Anfang nimmt er in Südeuropa bereits Ende Februar. Dann wandert er etwa 40 Kilometer pro Tag nordwärts, bis er Ende Mai am Nordkap in Nordnorwegen ankommt. Diese Zeit des üppigen Wachstums hat seit jeher Dichter und Köche beflügelt.
Die wichtigsten Zeiger für den Vollfrühling bei uns sind die Blüten von Apfelbaum, Flieder und Bärlauch. Dieses Jahr sieht man sie bereits jetzt, zwei Wochen früher als üblich. Ob die Frühlingslaicher Zander, Wels und die diversen Weissfische auch früher Hochzeit feiern, ist vom Bürotisch schwierig zu beurteilen ... Dem Petrijünger ist ein Auge für die Signale der Natur oft hilfreich. Mit ein wenig Beobachtung lassen sich damit fischereilich interessante Phasen an äusseren Zeichen erkennen. Früher fiel in diese Zeit auch der Nasenstrich, wenn sich die Fische mit den auffällig roten Flossen zu Tausenden in kleinen Bächen drängten oder die Neunaugen-Hochzeit mit ihren wimmelnden Fischknäueln. Als erprobte Optimisten freuen wir uns auch in Corona-Zeiten an all dem, was noch da ist und hoffentlich Bestand haben wird.
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