[Trockenheit |] Katastrophe mit Ansage
29 | 08 | 2022 SchweizText: Nils Anderson 04567
29 | 08 | 2022 Schweiz
Text: Nils Anderson 0 4567

Trockenheit | Katastrophe mit Ansage

Einem schneearmen Winter folgten ein trockener Frühling und ein viel zu heisser Sommer. Was noch vor wenigen Jahren als düstere Klima-Panikprognose fürs Jahr 2060 angesehen wurde, ist diesen Sommer bereits Realität geworden. Es dürfte in der Schweiz eine bittere Zeitenwende für die Fischerei markieren.


Die ersten beunruhigenden Neuigkeiten kamen schon früh im Jahr vom Doubs. Seit Mai wurden dort immer wieder vereinzelt grosse tote Äschen gesehen. Leser David Hoda berichtet: «Als wir im Wasser standen und fischten, wurden wir von verendenden Äschen überrascht, welche auf dem Rücken treibend bewegungslos und nur noch mit den Kiemen stossend den Fluss hinuntertrieben, dem Tod entgegen. Wir haben über zehn tote Äschen mit (wahrscheinlich) Pilzbefall im Wasser gesehen und ungefähr 50 Prozent der noch lebenden, gesehenen Fische hatten auch einen Befall (hauptsächlich im Mund- und Kopfbereich)!»

Der tiefe Wasserstand und die hohen Temperaturen von teils bis 25 Grad so früh im Jahr waren bisher höchst ungewöhnlich im Doubs. Und seither reissen die Meldungen über aussergewöhnlich tiefe Pegelstände und viel zu hohe Temperaturen nicht mehr ab. 

Ende Juni kamen die ersten Bilder von trockenen Emme-Abschnitten gross in den Medien. Die darauffolgenden Niederschläge vom Abend des 4. Juli fielen lokal so stark aus, dass sie zu einer Flutwelle mit massiven Mengen an Holz und Schlamm führten. Eine Verbesserung der Situation war den ganzen Juli über sowie­ im August nicht in Sicht. Fast überall in der Schweiz, insbesondere in der Westschweiz, der Region Basel, aber auch der Ostschweiz, war es viel zu trocken und viel zu heiss. Während Gebiete, die in den dominanten Gewitterzügen liegen, vom Allerschlimmsten verschont blieben, war es andernorts wirklich zum Verzweifeln.

 Bereits Ende Mai waren die ersten toten Äschen im Doubs anzutreffen. © David Hoda

Bereits Ende Mai waren die ersten toten Äschen im Doubs anzutreffen. © David Hoda


Das grosse Fischsterben blieb aus

Fischereiaufseher waren landauf landab mit ihren Elektrofanggeräten im Dauereinsatz und versuchten zu retten, was zu retten war. Und viele Gewässerfachleute der latent gefährdeten Gebiete wurden zumindest nicht auf dem falschen Fuss erwischt. Dank dem Notfallplan am Schaffhausener Rhein konnten schnell einige Kaltwasserbereiche abgedeckt und mit Absperrbändern und Informationstafeln ausgewiesen werden – und es fanden sich auch Äschen ein. 

Im Becken unterhalb des Rheinfalls versammelte sich ebenfalls eine grössere Menge Äschen. Diese geschwächten Fische waren eine leichte Beute für die zahlreichen Welse. Die ansässigen Fischer versuchten so gut es ging, Welse zu fangen.

Weder am Rhein bei Schaffhausen, den es auch dieses Jahr vergleichbar schlimm erwischte wie 2003 oder 2018, noch an anderen Gewässern kam es 2022 zum ganz grossen Fischsterben. So fehlten die medienwirksamen Berge von Fischkadavern, die vor vier Jahren das Elend des Rheins in die halbe Welt hinausgetragen hatten. Tote Forellen und Äschen sah man nur vereinzelt. Der traurige Hauptgrund dafür; es fehlten schlicht die Fische, die noch hätten sterben können. Bereits im Jahr 2018 wurde der Äschenbestand des Rheins bei Schaffhausen um 90 Prozent reduziert.

 Um den Äschen einen kühlen Rückzugsort zu ermöglichen, wurde dieser Bach in Diessenhofen mit einem Netz aufwendig beschattet. © Urs Friedrich

Um den Äschen einen kühlen Rückzugsort zu ermöglichen, wurde dieser Bach in Diessenhofen mit einem Netz aufwendig beschattet. © Urs Friedrich


Tragödie in Werdenberg

Besonders hart erwischte es die Mitglieder des FV Werdenberg im St. Galler Rheintal. Knapp 5000 der 6000 Äschen sind in der vereinseigenen Fischzucht über Nacht elendiglich an Sauerstoffmangel zugrunde gegangen – und dies obwohl die Notfallmassnahmen mit Grundwasserzufuhr und Belüftungsanlage bereits liefen. Für den Verantwortlichen Christian Schwendener war es leider eine Katastrophe mit Ansage: «Seit Jahren haben wir auf die Probleme mit den massiven Veränderungen am Böschengiessen hingewiesen. Immer tieferer Grundwasserspiegel, viele genehmigte Grundwasserschächte im Umfeld für die Landwirtschaft und die Industrie. Was aber am meisten zur Zerstörung des Giessen beigetragen hat, war der Einzug der verschiedenen Biberfamilien. Die Dämme machten aus dem ehemaligen Aufzuchtgewässer ein stehendes Gewässer. Die Fische konnten nicht mehr wandern, die Grundwasseraufstösse wurden durch die Grabarbeiten der Biber verschlossen und der Kiesgrund in der Folge vollkommen kolmatiert. Inzwischen versperren acht Dämme dem Wasser den Weg in unsere Aufzucht. Es versickert hinter den Dämmen in den Gemüsefeldern.» 

 Bereiche mit etwas kühlerem Wasser wurden vorsorglich abgesperrt, um den Stress der Fische nicht noch zu verstärken. © Urs Friedrich

Bereiche mit etwas kühlerem Wasser wurden vorsorglich abgesperrt, um den Stress der Fische nicht noch zu verstärken. © Urs Friedrich


Gefühl der Ohnmacht

Viele Fischer kämpften mit dem Mut der Verzweiflung gegen die Katastrophe. Besonders bitter war an diesem Sommer aber der Umstand, dass einen ein Gefühl der Ohnmacht und Sinnlosigkeit beschlich. War der Sommer 2003 schlicht ein einmaliger Jahrhundert- oder gar Jahrtausendsommer und 2018 vielleicht noch immer einfach eine unglückliche Verkettung von Zufällen mit einem Schuss Klimawandel, so drängt sich einem dieses Jahr der Eindruck einer bösen Zeitenwende­ geradezu auf: Auch wenn das Jahr 2021 so regenreich war; wenn künftig alle drei oder vier Jahre das Wasser fehlt, was kann und soll man da tun? War es das, mit den Forellen und Äschen in den Mittellandflüssen­? 

 Viele Wiesenbäche, die noch vor wenigen Jahren gute Forellenbestände aufwiesen, sind mittlerweile fast vollständig ausgetrocknet. © Nils Anderson

Viele Wiesenbäche, die noch vor wenigen Jahren gute Forellenbestände aufwiesen, sind mittlerweile fast vollständig ausgetrocknet. © Nils Anderson


Gefahr einer Negativspirale

Noch ist es zu früh, um die Salmoniden unserer Mittellandgewässer ganz abzuschreiben. Doch sind eine Vielzahl an einst ertragreichen Gewässern im Mittelland nur noch eingeschränkt oder dann mit einem unguten Gefühl befischbar. So hat sich die vertretbare Dauer der Fischereisaison vielerorts faktisch schon fast halbiert. An der Birs beispielsweise wurden der hohen Wassertemperaturen wegen Fischereiverbote ausgesprochen. Und so gerechtfertigt diese Beschränkungen auch sind, für die Fischerei und damit auch direkt für die Fische sind sie kein gutes Zeichen. Je weniger gefischt werden kann, desto weniger Zulauf haben die Vereine und desto weniger Geld und Bereitschaft ist für die Hege und Pflege und Bewirtschaftung der Gewässer vorhanden. Und ganz besonders bitter ist der Umstand, dass noch so viel Aufwand und Einsatz für unsere Gewässer schlicht und einfach vergebens ist, wenn kein Wasser mehr fliesst.

 Die traurige Bilanz des FV Werdenberg: Insgesamt 5000 Äschen starben über Nacht. © zvg

Die traurige Bilanz des FV Werdenberg: Insgesamt 5000 Äschen starben über Nacht. © zvg


Einziger Pluspunkt

Es gibt also wenig Gutes zu berichten von den Fliessgewässern. Doch immerhin war die Berichterstattung über die prekäre Situation in allen Medien. Die Flüsse, die Fische und unsere Verbandsleute waren ein Dauerbrenner; dass es den Fischen schlecht geht, wissen jetzt alle. Dies ist immerhin ein kleiner Lichtblick, auch wenn den Fischen damit nicht geholfen ist. Man könnte jetzt hoffen, dass damit die Gegenargumente zur Intensivierung der Wasserkraft an Schwung gewonnen haben. Doch wenn Beamte angesichts der drohenden Energiekrise zum Kauf von Cheminée-Holz und Kerzen raten, dürfte die Notwendigkeit vom Lebens­raum Wasser diesen Winter einen schwierigen Stand in der Öffentlichkeit haben.

 Alles tot: Trotz zugeführtem Grundwasser und Belüftung bietete sich im Böschengiessen ein schrecklicher Anblick. © zvg

Alles tot: Trotz zugeführtem Grundwasser und Belüftung bietete sich im Böschengiessen ein schrecklicher Anblick. © zvg

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