05 | 06 | 2015 | Schweiz | 0 | 13043 |
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Erfolgskontrollen Fischbesatz
Fischbesatz, das künstliche Erbrüten und Einsetzen von Fischen, ist in den meisten industrialisierten Ländern fester Bestandteil des Fischerei-Managements. Jahr für Jahr werden auch in Schweizer Gewässern Millionen Fische – vor allem Hechte, Felchen und Forellen – eingesetzt. Wie erfolgreich sind solche Massnahmen?
Bis ende Jahr widmen wir dem Thema «Erfolgskontrollen Fischbesatz» eine dreiteilige Artikelserie. Dabei diskutieren wir, welche Ziele mit Fischbesatz verfolgt werden, wie Erfolgskontrollen aussehen können und wieso sie so wichtig sind. Die Serie beginnt mit einem Blick zurück zu den Ursprüngen des Fischbesatzes. Ausserdem zeigt ein Schwenk in Richtung Nordamerika wertvolle Erkenntnisse einer über Jahre laufenden Erfolgskontrolle des Steelhead-Managements.
Energieproduktion, Hochwasserschutz und Flächenbedarf von Landwirtschaft, Infrastruktur und Siedlungen: Der Druck auf unsere Gewässer ist enorm und er reicht weit zurück in die Vergangenheit. Schon im vorletzten Jahrhundert wurden Bäche und Flüsse für die Schifffahrt begradigt, für die Energieproduktion gestaut und aus Angst vor Hochwassern hart verbaut oder gar komplett umgeleitet. An den Fischen ging die Zerstörung ihres natürlichen Lebensraums nicht spurlos vorbei: Die Bestände schrumpften, insbesondere auch die der fischereilich wichtigen Forelle. In diesem Zusammenhang entstand die Idee vom künstlichen Erbrüten und Einsetzen von Fischen. Rasch wurde Fischbesatz zu einer gängigen Praxis um menschgemachte Gewässerdefizite zu kompensieren. Trotz Besatz schrumpften die Bestände weiter. Als Gegenmassnahme wurden die Besatzanstrengungen erhöht, ganz nach dem Giesskannenprinzip wurde «überall ein bisschen» besetzt. Es musste doch irgendwie möglich sein, die einst so guten Fischbestände zu erhalten! Währenddessen stieg der Nutzungsdruck auf die Gewässer weiter. Und auch die Bestände gingen weiter zurück. Mit neuer Hoffnung holte man sich das Besatzmaterial nun vermehrt aus dem Ausland. In Dänemark gab es doch zahlreiche und grosse Forellen, vielleicht würde eine Blutauffrischung unsere Fischbestände retten? Aber auch diese Anstrengungen führten nicht zur erhofften Stabilisierung der Bestände und zum Erhalt der Erträge. Während Jahrzehnten verschlechterte sich der ökologische Zustand unserer Gewässer, die Folge waren rückläufige Bestände, worauf stets mit noch mehr Besatz reagiert wurde. So wurde Fischbesatz zu einem fast nicht wegzudenkenden Bestandteil des Fischerei-Managements in industrialisierten Ländern.
Die Praxis wandelt sich
Auch heute ist Fischbesatz an der Tagesordnung. Doch ein Umdenken ist im Gang und die Besatzzahlen sind seit einigen Jahren rückläufig. Das Ziel ist immer noch dasselbe wie in der Geburtsstunde der Praxis: Die Bestände stützen und die Erträge für die Fischerei erhalten. Aber die Praxis hat sich verändert. Die Idee der Blutauffrischung hat ausgedient, man weiss heute um die Bedeutung von lokal angepassten Populationen. Auch das Giesskannenprinzip wird immer häufiger kritisch hinterfragt. Heute scheint klar, dass Fischbesatz nicht grundsätzlich und überall nützlich und sinnvoll ist. Es gibt immer mehr Stimmen, aus der Wissenschaft und aus der Praxis, die Besatz gar für die rückläufigen Bestände mitverantwortlich machen. Die Gründe, weshalb Fischbesatz Probleme verursachen kann, sind vielfältig. Am häufigsten hört man vom schlechten Überleben der Besatzfische, von Konkurrenz zwischen Besatz- und Wildfischen, einer Abnahme der genetischen Vielfalt und Verdünnung von lokalen Anpassungen. Deshalb ist Besatz nur dann eine angebrachte Massnahme, wenn in einem Gewässer aufgrund ökologischer Probleme keine natürliche Fortpflanzung möglich ist
Steelhead-Management in Nordamerika
Um die eingeschränkte Lebensraumvernetzung und andere ökologische Defizite wettzumachen, werden auch in Nordamerika verschiedene Fischarten zum Teil im sehr grossen Stil bewirtschaftet. So auch die meerwandernde Form der Regenbogenforelle (O. mykiss), die sogenannte Steelheadforelle.
Ein bekannter Steelhead-Fluss ist der Hood River in Oregon, USA. Auch seine Steelheadforellen sind unter anderem wegen kraftwerksbedingter Wanderhindernisse unter Druck geraten. Um die Erträge für die Fischerei zu erhalten, wurden früher im grossen Stil Steelheads aus anderen Gewässersystemen in den Hood River eingesetzt. Dabei handelte es sich um traditionelle Zuchtstämme, wo ein Elterntierstamm während Jahrzehnten in der Brutanstalt gehältert wurde, um Jungfische für den Besatz zu produzieren. Im Folgenden werden diese Fische «Zuchtfische» genannt. Ab den späten 1990er-Jahren wurde der Hood River zusätzlich auch mit lokalen Fischen bewirtschaftet. Dafür werden jedes Jahr Wildfische gefangen und in der Brutanstalt gestreift. Dort werden ihre Nachkommen erbrütet und aufgezogen, ehe sie ungefähr ein Jahr später wieder in den Hood River eingesetzt werden. Dank dieser Praxis soll sichergestellt sein, dass die lokalen Anpassungen der Hood River-Steelheads erhalten bleiben. Diese Fische heissen im Folgenden «Besatzfische». In einer über mehr als fünfzehn Jahre laufenden Untersuchung wurden die verschiedenen Bewirtschaftungspraktiken miteinander verglichen, und die Überlebensfähigkeit von Zuchtfischen, von Besatzfischen und von (echten) Wildfischen wurde genau unter die Lupe genommen.
Fingerabdruck bitte!
Während dieser fünfzehn Jahre nahmen die Wissenschaftler von jedem Rückkehrer eine Gewebeprobe für genetische Analysen. Ebenso wurden alle Zucht- und Besatzfische beprobt, bevor sie als Jungfische in den Oberläufen des Hood Rivers eingesetzt wurden. Ähnlich wie ein Fingerabdruck erlaubt eine solche Probe einen Fisch jederzeit wiederzuerkennen. Aber die Genetik kann noch mehr als das: Mit Verfahren wie sie auch in der Kriminaltechnik oder bei Vaterschaftstests eingesetzt werden, lassen sich die ganzen Verwandtschaftsbeziehungen eines Fischs rekonstruieren. So wurden alle eingesetzten und alle aufsteigenden Fische Teil eines riesigen Stammbaums. Man kennt die Geschwister und die Eltern eines Fischs – und man weiss, mit wem welcher Fisch wie viele Kinder und Enkelkinder hatte.
Der Vergleich zwischen der Bewirtschaftung mit Zuchtfischen und Besatzfischen fiel deutlich zugunsten der Bewirtschaftung mit Besatzfischen aus: Bei gleichen Besatzmengen war der Beitrag der Zuchtfische zur folgenden Generation mehr als dreimal kleiner als der Beitrag der Besatzfische, die aus dem Hood River stammen. Als Folge dieser Erfolgskontrolle wurde das Einsetzen von Zuchtfischen in den 1990er-Jahren eingestellt.
Der Beitrag von Besatzfischen zur nächsten Generation schien auf den ersten Blick von dem der Wildfische nicht unterscheidbar: Richtige Wildfische hatten ebenso viele Nachkommen wie die Besatzfische lokaler Herkunft. Erst bei vorsichtigem Analysieren des Stammbaums stiessen die Forscher auf eine Überraschung: Obwohl die Hood River-stämmigen Besatzfische auf den ersten Blick ebenso überlebensfähig und gut angepasst erschienen wie Wildfische, war dies für ihre Nachkommen plötzlich nicht mehr der Fall. Wenn ein Nachkomme eines Besatzfischs sich in der Natur mit einem Wildfisch kreuzte, hatten diese in der zukünftigen Generation etwas mehr als zehn Prozent weniger Nachkommen als eine Paarung unter zwei Wildfischen hervorbrachte. Ganz schlecht abgeschnitten haben diejenigen Fische, die Nachkommen von zwei Besatzfischen waren. Obwohl in der Wildnis geboren, hatten sie nicht einmal halb so viele Nachkommen wie echte Wildfische. Wie ist das denn möglich?
Ultraschnelle Evolution
Wie in der Natur überleben auch in der Brutanstalt nicht alle Fische gleich gut. Manche Fische haben Merkmale, die ihnen erlauben mit den Bedingungen in der Brutanstalt gut zurecht zu kommen, andere haben Merkmale, die dort nachteilig sind. Die Merkmale derjenigen Fische, die nicht (gut) überleben, werden von der natürlichen Auslese ausgemerzt und werden seltener, andere Merkmale werden gefördert und werden häufiger. Weil die Merkmale von den genetischen Eigenschaften eines Fischs beeinflusst werden, haben die überlebenden Fische schon nach einer Generation in der Brutanstalt gewisse Anpassungen an das Leben in Gefangenschaft in ihren Genen gespeichert. Mit jeder Generation, welche die Elterntiere in der Brutanstalt gehältert werden, werden die Anpassungen stärker. Im Fachjargon werden solche Anpassungen an das Leben in Gefangenschaft Domestizierung genannt. Wäre eine wilde Steelhead ein Wolf, wären die Zuchtfische Hunde.
Werden solche künstlich erbrüteten Fische nun eingesetzt, vererben sie diese Anpassungen ihren Nachkommen, obwohl sie in der Natur nachteilig sind. Diese Resultate zeigen ein schier unlösbares Dilemma auf: Wenn Fischbesatz in dem Sinn erfolgreich ist, dass sich Besatzfische in der Natur halten und fortpflanzen, verwässern sie durch Domestizierungseffekte die Anpassungen der ganzen natürlichen Population. Die Population als Ganzes hat eine verminderte Überlebensfähigkeit, als Folge davon gibt es weniger Fische. Und wenn der Fischbesatz jährlich wiederholt wird, bringt man immer wieder an die Brutanstalt angepasste Fische in die Wildnis. Das lässt der Population keine Chancen, sich ebenso schnell wieder an die natürlichen Bedingungen anzupassen, wie sich Besatzfische an die Brutanstalt anpassen, und mit der Zeit geht die so wichtige genetische Vielfalt verloren.
Dies zeigt deutlich, warum bei einer funktionierenden Naturverlaichung unbedingt auf Besatz verzichtet werden soll. Bevor besetzt wird, sollte immer geprüft werden, ob die Naturverlaichung funktioniert. Funktioniert sie nicht, ist die Arbeit mit Brutboxen eine Möglichkeit die starke Auslese in der Zucht zu minimieren. Wenn die Eier früh in ihre natürliche Umgebung gebracht werden, kann eine Domestizierung so zumindest teilweise verhindert werden. Gleichzeitig sollte die Ursache für die nicht funktionierende Natuverlaichung identifiziert und behoben werden. Denn nur so gibt es längerfristig wieder mehr Fische in unseren Gewässern.
Wie kann Evolution so schnell sein?
Die gesamte Vielfalt des Lebens auf der Erde ist das Produkt von Evolution. In der Schule haben wir gelernt, Evolution sei ein äusserst langsamer Prozess. Der Grund dafür sei die Seltenheit von nützlichen Mutationen, die Evolution erst möglich machen würden. Heute kommt die Forschung zu einem anderen Schluss. Unter Wissenschaftlern ist spätestens seit den grossen Fortschritten mit genetischen Analysen weitum bekannt, wie schnell Evolution sein kann. Sie passiert ständig, auch unabhängig von Mutationen. Das Zauberwort lautet «bestehende genetische Vielfalt». Darunter versteht man eine riesige Vielfalt an unterschiedlichen Variationen, die in Populationen von lebenden Organismen zu finden sind. Generation für Generation bevorzugt die natürliche Auslese die am besten angepassten genetischen Variationen, während andere Prozesse (z. B. sexuelle Fortpflanzung und Rekombination oder Vorteile von seltenen Merkmalen) dafür sorgen, dass trotz der natürlichen Auslese eine grosse Vielfalt an Variationen erhalten bleibt.
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