[Reizfrage:<br/>]Warum beissen Raubfische auf Kunstköder?
30 | 10 | 2024 PraxisText: Markus Bötefür 0732
30 | 10 | 2024 Praxis
Text: Markus Bötefür 0 732

Reizfrage:
Warum beissen Raubfische auf Kunstköder?

«Trübes Wasser, helle Köder – klares Wasser, dunkle Köder».  Diese Faustregel zum Spinn­fischen ist so alt wie die Angelmethode selbst. Doch warum beissen Räuber überhaupt auf Spinner, Blinker, Wobbler­, Gummifische, Twister und Co.? Markus Bötefür hat nach­geforscht.


Jeder Spinnfischer hat seine ganz persönlichen Lieblingsköder für Hechte, Zander, Egli, Rapfen oder Forellen. Manche dieser Favoriten sehen einem echten Fischchen täuschend ähnlich, andere haben mit natürlichen Vorbildern wenig gemeinsam und machen auch im Wasser für unsere Augen keine gute Figur. Trotzdem werden diese Fantasieprodukte von Raubfischen attackiert und gelten als vorzügliche Köder. Woran liegt es, dass Fische auf solch scheinbar plumpe Fälschungen hereinfallen? Ist es bei kunterbunten Wobblern und Gummifischen noch leicht, eine Ähnlichkeit mit ihren mehr oder weniger gut nachgebildeten Futterfischen zu erkennen, so fragt man sich angesichts von Spinnern, warum Raubfische sich von diesen Metallkonstruktionen täuschen lassen.

Tatsächlich ist es so, dass Spinner keinen natürlichen Beutefisch imitieren, sondern durch ihre um die eigene Achse rotierenden Blätter von Raubfischen mittels der Seitenlinien als provozierende Störenfriede wahrgenommen werden. Der lebhafte Lauf eines Spinners löst bei ihnen Beissreflexe aus und hat mit ihrem Appetit auf ein echtes Fischchen in der Regel nichts zu tun.

 Bunte Köder bringen vor allem Hechte auf Touren. © Nils Anderson

Bunte Köder bringen vor allem Hechte auf Touren. © Nils Anderson


Schlüsselreize

Verantwortlich für diese Beissreflexe sind sogenannte Schlüsselreize, die den Räuber dazu veranlassen, sich auf ein Opfer zu stürzen. Diese Mechanismen sind Raubfischen angeboren, denn anders als Wolfswelpen oder Raubkatzenjunge müssen frisch aus dem Ei geschlüpfte Fische keine Jagdtechniken erlernen, sondern beherrschen sie vom ersten Lebenstag an. Aber wie sehen diese Reize konkret aus? Hechte und Welse reagieren auf Störenfriede in ihrer Nähe fast immer mit Aggression. Je auffälliger und farbenfroher ein von Menschenhand geschaffener Eindringling ist, umso wahrscheinlicher sind die Aussichten, auf ihn einen Biss zu bekommen. Fehlt an einem Blinker beispielsweise das rote Plättchen, fallen weit weniger Hechte über das nackte Blech her. Bunte mit Rasselkugeln versehene Wobbler sind für Hechte und Welse also erste Wahl, Zander lassen sich von solchen Ködern­ hingegen nur sehr selten aus der Ruhe bringen. Sie bevorzugen das dezente Auftreten von über den Grund hüpfenden Twistern und Gummifischen, deren Bleiköpfe Sand- und Schlammwölkchen erzeugen, die von den Glasaugen für das Resultat aufgeschreckter Fischchen gehalten werden. Dass diese Twister mitunter auch leuchtend gelb sein dürfen und somit alles andere als dezent ausfallen, zählt zu den unergründlichen Geheimnissen des Spinn­fischens, die unser Hobby so spannend machen.

Wieder anders sieht es bei Rapfen aus. Die Schlüsselreize dieser im oberflächennahen Wasser jagenden Fische müssen mit schneller Köderführung geweckt werden, denn Rapfen erlegen ihre Futterfische (häufig Lauben), indem sie in Kleinfischschwärme stos­sen, die dann in panischer Flucht zu entkommen versuchen und dabei oft auch die Wasseroberfläche durchbrechen, sodass schlanke Blinker hier passend sind. Je nach Zielfischart muss also der passende Spinnköder mit entsprechendem Führungsstil gewählt werden.

 Appetit auf Artgenosse: Was sich wie eine potenzielle Beute verhält, wird attackiert. © André Suter

Appetit auf Artgenosse: Was sich wie eine potenzielle Beute verhält, wird attackiert. © André Suter


Futterneid und Kannibalismus

Die Verhaltensweisen von in Schwärmen lebenden Raubfischen unterscheiden sich erheblich von denen der Einzelgänger. Bei Zandern, Rapfen und Egli ist es oft Futterneid, der sie in Gier und Unachtsamkeit versetzt; bei Egli sehr häufig auch der ihnen angeborene Kannibalismus, weshalb Wobbler im Artgenossendesign bei ihrer gezielten Befischung zu den Topködern zählen. Wird beim gezielten Spinn­fischen auf Egli dazu noch ein Reizvorfach verwendet, welches vor dem einen Raubfisch imitierenden Kunstköder flüchtende Fischchen darstellen soll, so ist das Maximum der Reize erzielt.

Wer mit der Spinnrute allerdings «Halbraubfischen» wie dem scheuen Alet auf die Schuppen rücken möchte, kann auf die den «echten» Raubfischen angeborenen Beissreflexe nicht hoffen. Denn die Gelegenheitsräuber verteidigen keine Reviere, sondern sehen in Spinnködern eine echte Beute, weshalb das Design eines gezielt für sie präsentierten Wobblers dem natürlichen Nahrungsangebot möglichst nahekommen sollte. Orange, gelbe oder giftgrüne Köder ziehen bei ihnen selten.

 In stark befischten Gewässern ist es ratsam, auf Spinnköder in natürlichem Design zurückzugreifen. © Markus Bötefür

In stark befischten Gewässern ist es ratsam, auf Spinnköder in natürlichem Design zurückzugreifen. © Markus Bötefür


Zurück zu natürlichem Design

Raubfische attackieren einen Spinnköder also, weil dieser bei ihnen einen Schlüsselreiz weckt, der einen Beissreflex auslöst. Diese wissenschaftliche Erkenntnis ist zwar keineswegs von der Hand zu weisen, doch zeigt sich in den letzten Jahren besonders beim Einsatz von knallig-bunten Ködern, dass alle Theorie grau ist, denn an viel befischten oder gar überangelten Gewässern lassen selbst als gierig geltende Egli die angebotenen Kunstköder oft links liegen. Spinnfischer nennen solche Gewässer dann verblinkert.

Ichthyologen gehen davon aus, dass die von Verhaltensforschern beobachtete Reaktion auf Schlüsselreize nach zu vielen negativen Erfahrungen mit Hemmungen belegt werden, die man auch als Lern­erfolge bezeichnen kann. Raub­fische sind nämlich keineswegs nur triebgesteuerte Kreaturen. Sie verfügen auch über ein – im Vergleich zu Säugetieren freilich stark begrenztes – Lernvermögen, das sie nach wiederholten Bissen auf poppig-bunte Reizköder zurückhaltend werden lässt. Ob allein das heute beliebte Catch & Release dafür verantwortlich ist, erscheint wahrscheinlich, ist aber nicht erwiesen. Fest steht jedoch, dass die früher so erfolgversprechenden kunterbunten Wobbler und Twister in viel befischten Gewässern heute bedeutend weniger Bisse bringen. Um auch an solchen Seen und Flüssen als Spinn­fischer erfolgreich zu sein, muss auf Köder in natürlichen Designs zurückgegriffen werden, deren Lauf (bei richtiger Führung!) die im Gewässer vorkommende Futterfischart täuschend echt imitiert.

 Futterneid und Fressgier veranlassen Egli oft, am Ziel vorbei­zuschiessen. © Markus Bötefür

Futterneid und Fressgier veranlassen Egli oft, am Ziel vorbei­zuschiessen. © Markus Bötefür


Niemals

Sehen wir einen unschlüssigen Räuber im Kielwasser unseres Spinnköders, tendieren wir instinktiv dazu, dass Einholtempo zu verlangsamen, damit der Verfolger genügend Zeit hat, unser Angebot anzunehmen. Dies führt aber nie zum gewünschten Erfolg, denn Hechte, Egli, Zander usw. sind darauf programmiert, flüchtende Fische zu greifen und verlieren an langsam werdenden Ködern augenblicklich das Interesse. Sieht man einen Nachläufer, so lautet die Devise eine Kurbelumdrehung zulegen, statt in Schockstarre zu verfallen.

 Das rote Plättchen am Blinker weckt Schlüsselreize und sollte bei Verlust umgehend ersetzt werden. © Markus Bötefür

Das rote Plättchen am Blinker weckt Schlüsselreize und sollte bei Verlust umgehend ersetzt werden. © Markus Bötefür

Festzuhalten ist: Trotz aller wissenschaftlichen Beobachtungen und Erkenntnisse bleibt für das Kind im Manne der Trost, dass man für jede Stimmung der Fische gerüstet sein muss und deshalb im Angelladen immer wieder neue Spinn­köder kaufen darf.

 

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