09 | 03 | 2020 | Diverses | 0 | 4720 |
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Gewässerkenner – so schlau wie Wissenschaftler
Von wegen Anglerlatein: Eine neue Studie zeigt, dass das Kollektiv der Nutzer von Fischbeständen in der Lage ist, die ökologischen Ursache-Wirkungsbeziehungen der Populationsbiologie von Hechten exakt so gut zu identifizieren, wie es dem besten Forschungswissen entspricht.
Ein Team aus Fischereibiologen, Informatikern und Sozialwissenschaftlern konnte zeigen, dass die kollektive Intelligenz von Naturnutzerinnen und -nutzern auch komplexe Mensch-Umwelt-Beziehungen akkurat erfassen kann. In der Studie identifizierten rund 220 Anglerinnen und Angler, Gewässerwarte und Vorstände von Angelvereinen Faktoren, die alleine oder in Wechselbeziehung zueinander die Entwicklung von Hechtbeständen bestimmen; zum Beispiel Nährstoffe, Wasserpflanzen, Nährtiere, Kormorane, Fischer und Angler. Das Ergebnis verblüfft: Wenn man die ökologischen Vorstellungen der Anglerinnen und Angler zusammenführt, entspricht das Ergebnis nahezu exakt dem besten wissenschaftlichen Kenntnisstand zur Hechtbiologie. Dabei zeigt sich gemäss dem Studienleiter Robert Arlinghaus, dass das Ergebnis besser wird, je mehr Akteurinnen und Akteure an der kollektiven Lösung beteiligt sind.
Wie erfasst man mit vertretbarem Aufwand die komplexen Beziehungen zwischen Wildtieren, Ökosystemen und dem Menschen? Forschende benötigen dafür fundierte Daten und komplexe mathematische Berechnungen – oder sie können das Erfahrungswissen von Gewässernutzenden systematisch erfassen und zusammenführen. Das ist vor allem dann interessant, wenn personelle und finanzielle Ressourcen nicht ausreichen, um ein tiefes wissenschaftliches Verständnis zu erlangen, oder wenn beispielsweise Fischbestandesdaten rückwirkend nicht mehr zu erfassen sind. In der Studie wurden die individuellen Vorstellungen der Gewässernutzer zu einem kollektiven Verständnis der ökologischen Zusammenhänge zusammengefasst. Das Wissen von 17 Fischereibiologen diente dabei als Referenz.
«Weisheit der Vielen» greift nicht immer
Was nach einer «urdemokratischen» Lösung tönt, ist allerdings nicht ganz so einfach. «Wichtig ist, dass die Vorstellungen unterschiedlicher Typen von Gewässernutzenden – Anglerinnen und Angler, Gewässerbewirtschaftende, Vorstandsmitglieder von Angelvereinen – angemessen berücksichtigt werden», bemerkt einer der Autoren. Würde nur das Wissen eines Typs von Akteurinnen und Akteuren genutzt, können sich falsche Vorstellungen und Mythen verdichten, die durch den Austausch innerhalb dieser Untergruppe entstehen. «Wenn man nur eine isolierte Gruppe berücksichtigt, verschlechtert sich das kollektive Ergebnis», betont Robert Arlinghaus. Die Weisheit der Vielen greift erst, wenn ein mehrstufiger Analyseansatz gewählt wird. «Unsere Studie zeigt, dass es sinnvoll ist, das Wissen möglichst unterschiedlicher Typen von Naturnutzenden oder Interessensgruppen zu berücksichtigen. Und wenn dann innerhalb jeder Gruppe möglichst viele Meinungen einfliessen, wird das Gesamtergebnis besonders gut.»
Mehr kollektive Intelligenz
Die Forschenden plädieren dafür, bei der Untersuchung und dem anschliessenden Management von Natur und Umwelt systematischer als heute auf das Prinzip der kollektiven Intelligenz zurückzugreifen. Das gilt vor allem dann, wenn personelle und finanzielle Ressourcen nicht ausreichen, um ein tiefes wissenschaftliches Verständnis zu erlangen. Beispielsweise ist es schwierig, rückwirkend die Entwicklung der Fischbestände in einem Fischereigebiet abzuschätzen, zu dem wissenschaftliche Begleituntersuchungen fehlen. Ein konkretes Anwendungsbeispiel, an dem Robert Arlinghaus und sein Team aktuell forschen, sind die Hechtbestände in den inneren Küstengewässern rund um Rügen. Auch hier setzt das Team unter anderem auf die Weisheit von Anglerinnen und Anglern, Fischerinnen und Fischern.
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