«Angeln darf geil sein!»
09 | 04 | 2025 DiversesText: Steff Aellig | Illustration: Milena Aellig 02001
09 | 04 | 2025 Diverses
Text: Steff Aellig | Illustration: Milena Aellig 0 2001

«Angeln darf geil sein!»

Ein selbstbewusstes Plädoyer für Respekt und Augenmass

Der Streit um den Einsatz von Live-Sonartechnik hat auch die Diskussion um das Thema «Catch and Release» (C&R) wieder befeuert. Es ist Zeit für eine Standortbestimmung. Dazu haben wir uns mit dem deutschen Profiangler Sebastian Hänel unterhalten. Er vertritt eine selbstbewusste Positionierung mit dem Ziel, Fischen weiterhin als gesellschaftsfähige und kulturell verankerte Freizeitaktivität zu erhalten.


Für uns Angler ist Fischen eine Leidenschaft, eine Passion, so wie es ganz verschiedene davon gibt. Mein Nachbar zum Beispiel bastelt begeistert an alten Autos rum, an Oldtimern. Er bestellt im Ausland passende Ersatzteile und verwendet ganze Wochenenden, um einen neuen Auspuff einzubauen. Das ist für ihn «Flow-Erleben». Und wenn die Kiste dann wieder läuft, erfährt er Zufriedenheit und Bestätigung: Alles richtig gemacht. Genau wie wir Fischer, wenn es uns gelingt, einen schönen Egli, Zander oder Hecht zu überlisten. «Das Gefühl, wenn der Biss kommt und der Fisch in die Rute schlägt, das löst im Angler-Gehirn einen wahren Sturm von Glücks- und Belohnungshormonen aus», erklärt Sebastian Hänel einen zentralen Anreiz für unser Hobby. Er ist deutscher Profiangler und bekannt von seinen Audio- und Videopodcasts rund ums Raubfischangeln. «Diesen einzigartigen Moment wollen wir immer wieder erleben», so Hänel.


Der Haken an der Sache

Das Problem bei unserem Hobby: Hier geht es nicht um Autoersatzteile, die wir im Vorgarten hingebungsvoll sortieren und einbauen. Es geht um Lebewesen, genauer noch: um Wirbeltiere. Sie müssen für unser Angel­erlebnis herhalten. Eine delikate Sache, ist auch Sebastian Hänel überzeugt: «Angeln darf geil sein und soll Spass machen. Es braucht aber einen gewissen Rahmen und erfordert vom Fischer vor allem eines: Respekt dem Fisch gegenüber.» Denn es leuchtet allen ein: Kein Fisch findet es cool, an einem Haken im Mund durchs Wasser gekurbelt und an die Luft gezerrt zu werden. Wie gross das Schmerz- und Stresserleben dabei für den Fisch tatsächlich ist, darüber streiten sich die Geister – und auch die Wissenschaft hat noch keine klaren Antworten. Wir Fischer finden: durchaus vertretbar. Tierrechtler sagen dazu: Tierquälerei! Wenn es nach ihnen ginge, müsste Angeln ganz verboten werden. Für Sebastian Hänel unverständlich: «Das Problem bei diesen Leuten ist, dass sie die Lebewesen vermenschlichen. Doch der Fisch ist ein wechselwarmes Tier und reagiert ganz anders auf den Haken, als Nichtangler es sich vorstellen.» Durch die Live-Sonartechnik wissen wir heute deutlich mehr darüber als früher. «Ein Zander zum Beispiel, der im Drill vom Haken loskommt, zeigt gar kein drastisches Fluchtverhalten, wie man es vermuten würde. Sehr oft bleibt er einfach stehen und schwimmt dann ganz normal weg», erzählt Hänel. Deshalb positioniert er sich klar: «Angeln ist Teil unserer Kultur. Wir dürfen uns nicht von einer militanten und lauten Minderheit die Freude daran verderben lassen.»

Gesetz schützt die Würde des Tieres

Wie stellt sich denn der Gesetzgeber zu dieser Frage? Ambivalent, das zeigt der genaue Blick in die Gesetzestexte. Weil eben verschiedene Interessen berücksichtigt werden müssen. Das Tierschutzgesetz von 2005 hat den Zweck, «die Würde und das Wohlergehen des Tieres zu schützen». Die Würde des Tieres – gemeint sind immer Wirbeltiere – wird dann missachtet, «wenn eine Belastung des Tieres nicht durch überwiegende Interessen gerechtfertigt werden kann.» So steht es in Artikel 3. Doch Achtung: Im Tierschutzgesetz geht es hauptsächlich um die Nutz- und Heimtierhaltung, um Tierversuche und um den Transport von Tieren und Tierprodukten.

Die Fischerei wird hier gar nicht explizit aufgeführt, sie sei quasi durchs Hintertürchen mit reingepackt worden, erzählen Insider. Trotzdem, in Artikel 4 steht es schwarz auf weiss: «Niemand darf ungerechtfertigt einem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen, es in Angst versetzen oder in anderer Weise seine Würde missachten.» Heisst das: Angeln nur aus Freude an der Sache selbst liegt gar nicht drin? Doch, wenn sogenannte «überwiegende Interessen» vorliegen, dann ist die Belastung zu rechtfertigen. Die Schlüsselfrage in dieser Diskussion lautet darum: Was alles gilt als solch überwiegendes Interesse? Das Tierschutzgesetz lässt es offen. Und deshalb können wir uns in dieser Diskussion neu positionieren – und endlich einen entscheidenden Schritt weiterkommen.


Was sind «überwiegende Interessen»?

Bis anhin gingen wir Fischer davon aus, das einzige «überwiegende Interesse», welches das Angeln rechtfertigt, sei die Beschaffung von Nahrung. Wir entnehmen (jeden?) Fisch für die Küche und können dadurch unsere Leidenschaft legitimieren. «Diese Doppelbödigkeit ist hausgemacht und herrscht nur im deutschsprachigen Raum», ordnet der Zandercoach Sebastian Hänel ein. «Überall sonst auf der Welt ist Angeln um des Angelns willen gesellschaftlich akzeptiert, ja sogar respektiert.» Angeln ausschliesslich für die Küche, das müsse überwunden werden. «Machen wir uns doch nichts vor: Heute muss niemand mehr angeln, um Fisch essen zu können. Wir angeln aus Freude an der Sache selbst. Und das ist richtig so. Der Fisch für den Tisch ist allenfalls eine willkommene Begleiterscheinung.»

Für Hänel ist klar: Die eigentlichen Anreize für unsere Leidenschaft dürfen für sich stehen und auch selbstbewusst genannt werden: Naturerlebnis und Ausgleich zum Stress in Beruf und Familie, Leistungs- und Kompetenzgefühl, oder auch – das darf nicht verschwiegen werden – Geltungsdrang im sozialen Umfeld. «Fischen und Jagen ist Teil unserer DNA, was bitte soll daran falsch sein?», fragt Hänel. Deshalb gehört für ihn die Erholung und das ganzheitliche Freizeiterleben ebenfalls zu diesen überwiegenden Interessen, genauso wie die wirtschaftliche Wertschöpfung. «Weisst du, wie viel Geld weltweit mit dem Angelsport in Verbindung steht? Nimm die Boote, das Angelmaterial, den Tourismus: Das sind Milliarden!», so Hänel. Ein wichtiges Argument darf in dieser Diskussion nicht unbeachtet bleiben: Der Natur- und Umweltschutz. Angler sind viel am Wasser und sensible Beobachter der Vorgänge, die sich draussen abspielen. Und deshalb setzen sie sich engagiert für den Erhalt von Natur und Landschaft ein – in lokalen Vereinen wie auch auf der Ebene der kantonalen und nationalen Politik. Sebastian Hänel bringt es auf den Punkt: «Mit Fischern geht es den Fischen in unserer belasteten Umwelt besser als ohne Fischer.»


C&R: Schlaue Regelung in der Schweiz

Für Hänel ist klar: Angeln um des Angelns willen ist gesellschaftsfähig und braucht keine weitere Rechtfertigung. «Fische fangen ist doch politisch nicht unkorrekt! Was es braucht, ist ein respektvoller Umgang mit den natürlichen Ressourcen und dem Tier», so Hänel. Und dazu gehört für ihn auch das schonende Zurücksetzen von Fischen. Was meint er zu unserem vielzitierten Artikel 23 der Tierschutzverordnung, wonach «das Angeln mit der Absicht, die Fische wieder frei zu lassen» als verbotene Handlung gilt? Hänel kennt diese Regelung und meint: «Die können wir ignorieren!» Denn erstens sei eine Absicht ja nicht nachweisbar und zweitens liege der Widerspruch darin, dass geschonte Fische zwingend wieder zurückgesetzt werden müssen.

Hier prallen die Interessen des Tierschutzes auf ökologische Anliegen zum Schutz des Fischbestands. «Wir kommen gar nicht drum herum, uns mit einer vernünftigen Regelung zu Catch and Release auseinanderzusetzen», so Hänel. Doch die Umsetzungshilfe, welche unsere Behörde publiziert hat, mache durchaus Sinn: Jeder überlebensfähige, fangfähige Fisch kann wieder freigelassen werden, sofern dies auf einer individuellen Entscheidung des Anglers für den einzelnen Fisch beruht. «Diese Regelung ist eigentlich schlau, denn sie schützt die Fischerei vor den Begehren des Tierschutzes», ist Hänel überzeugt. Denn: «Mündige und gut ausgebildete Angler sind in der Lage zu beurteilen, was in der jeweiligen Situation angebracht ist.»


Eigenverantwortung statt Vorschriften

Wer die Podcasts und Videos von Sebastian Hänel kennt, der weiss: Er ist ein Verfechter einer konsequenten Deregulierung des Angelns mit dem Ziel, die Eigenverantwortung zu stärken. «Zu einer sinnvollen Regulierung des Angelns brauchen wir lediglich drei Parameter», erklärt Hänel: «Schonzeit, Fangzahlbeschränkung und Schonmass.» Noch besser als ein Mindestmass wäre aus seiner Sicht sogar ein Entnahmefenster, auch bekannt als «Küchenfenster»: Nicht nur untermassige Fische müssen zurückgesetzt werden, sondern auch die grossen. «Die sind ökologisch wertvoll und sollen deshalb im Gewässer bleiben», erklärt Hänel. Auch in der Diskussion um den Einsatz von Live-Sonartechnik hat der Profiangler eine klare Haltung: «Hört auf, die Angler mit Vorschriften zu gängeln. Lasst die Fischer an die Fische ran, dann beruhigt sich das von allein. Durch Stärkung der Eigenverantwortung bekommen wir die Chance, uns zu entwickeln. Und so kommen auch Demut und Respekt zurück», ist Hänel überzeugt.



Einordnung durch Chefredaktor Nils Anderson

Eine komplette Deregulierung, wie sie Sebastian Hänel vertritt, erscheint mir in der aktuellen Diskussion bei uns nicht mehrheitsfähig. Aber man kann und muss sich sehr wohl selbstbewusst positionieren. Denn eines ist klar: Eine breite Mehrheit der Gesellschaft hat keine Probleme mit der Fischerei – im Gegenteil: Das Angeln ist gesellschaftlich genauso akzeptiert wie beispielsweise die Haltung eines Pferdes, mit dem man nichts anderes macht als reiten – einfach aus Freude an der Tätigkeit. Dafür braucht es auch keine zusätzliche Legitimation. Die Haltung des Pferdes in einer Box und die Belastung seiner Wirbelsäule beim Reiten wird auch nicht grundsätzlich hinterfragt, auch wenn sie dem Naturell des Tiers nicht unbedingt entsprechen. Auch eine Hauskatze, die ihr gesamtes Leben in einer Wohnung verbringt, ist gesellschaftlich akzeptiert. Kurz: Seit jeher «benützen» wir Tiere für die Befriedigung von Freizeitbedürfnissen. Und das wird als richtig empfunden – sofern es in einem gesellschaftlich vereinbarten Rahmen stattfindet.

In der Diskussion um ein Catch and Release sollte man als Fischer wenn immer möglich auf ökologische Gründe Bezug nehmen. Dies trifft insbesondere bei Forellen und Äschen zu. Ich finde es durchaus vertretbar, wenn jemand sämtliche überlebensfähige Wildfische aus ökologischen Gründen wieder zurücksetzt. Trotzdem: Meiner Meinung nach muss jeder Fischer kompetent sein, einen nicht-überlebensfähigen Fisch korrekt zu töten. Totschläger, Messer und auch Feumer: Das muss beim Fischen deshalb zwingend immer dabei sein. Das gebietet der Respekt vor dem Tier. Ebenso dazu gehört das Anfassen der Fische mit nassen Händen. Und wenn man schon von Ethik spricht: Ja, man muss fähig und willens sein, das Tier auch zu verwerten oder verwerten zu lassen.

Fazit also: Zurücksetzen in natürlichen Gewässern ist immer möglich – aus ökologischen Gründen und als individueller Entscheid für den Fisch. Aber wenn ich in einem sogenannten Put&Take-Gewässer fische, dann nehme ich meine gefangenen Fische mit, Punkt.

 

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