30 | 01 | 2017 | Schweiz | Video | 1 | 8314 |
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«Ökostrom» mit Fischgeschnetzeltem
Die Kraftwerk Schaffhausen AG wirbt bei ihren Kunden für ihren Strom mit Sätzen wie «Der beste Strom der Welt», zeigt schöne Natur-Bilder und Image-Filme der intakten Rheinlandschaft auf der Webseite. Die Kehrseite der Medaille liegt auf dem Gewässergrund.
Es war Mitte Dezember, als sich die «Petri-Heil»-Redaktion am Rhein bei Neuhausen zum Äschenfischen traf. Nach ersten Erfolgen (siehe «Bildfang» auf Seite 8/9) wollten wir noch eine andere Stelle ausprobieren. Auf dem Weg zum neuen Platz erblickten wir im Wasser die weissen Überreste von toten, teils zerhackten Aalen. Mindestens acht Tiere auf einer Gewässergrundfläche von etwa zwanzig Quadratmetern. Schnell war klar: Es handelte sich hier um «Fischgeschnetzeltes» aus den beiden Kaplan-Turbinen der «SH Power», des Kraftwerks Schaffhausen, das sich etwa zwei Kilometer flussaufwärts befindet.
«Eine Schande!»
Acht Aal-Kadaver auf so engem Raum? Das darf doch nicht wahr sein! Diese grausigen Bilder liessen mich nicht los und so marschierte ich bei einem zweiten Besuch des Rheins eine Woche später in Neuhausen rheinabwärts. Zwar nahm die Konzentration der toten Fische, die über den Grund des Gewässers verteilt waren, leicht ab. Etwa einen Kilometer weiter flussabwärts konnte ich jedoch bei einer Stelle mit weniger Strömung immer noch drei leblose Körper auf etwa 15 Quadratmetern zählen. Und: Beim Blick in den Rhein war immer mal wieder das helle Schimmern toter Aale am Gewässergrund auszumachen.
«Das ist jedes Jahr so, eine Schande!» gaben Spaziergänger am Rheinufer zu Protokoll, die mir beim Fotografieren der toten Tiere zugeschaut hatten und mit denen ich in der Folge ins Gespräch kam. Wirklich jedes Jahr? «Ja, immer im Winter, zwischen November und Dezember, gibt es zwei, drei Wochen, da ist der Rheinboden regelrecht übersät mit den weiss leuchtenden Körpern toter Aale. Zuerst sieht man sie noch ganz gut, aber dann fangen sie an zu verwesen, Moos anzusetzen. Und mit der Zeit sind sie dann nicht mehr sichtbar», weiss der ältere Herr im braunen Ledermantel zu berichten.
Was bedeutet eigentlich «Ökostrom»?
Verantwortlich für die offensichtlich alljährlich wiederkehrende Tragödie der Rhein-Aale ist die Kraftwerk Schaffhausen AG. Auf seiner Website «shpower.ch» wirbt das Wasserkraftwerk für seinen Strom mit der Liebe zur Natur: «Mit unserem CleanSolution Ökostrom können Sie sich zudem für die Natur in der Region Schaffhausen engagieren.» Zusatzkosten für diesen «Ökostrom»: Vier Rappen pro Kilowattstunde. Einer der vier «Öko-Rappen» wird für die Natur am Rhein verwendet – für Renaturierungen zum Beispiel.
Eine ganz spontan durchgeführte und daher selbstverständlich nicht repräsentative Umfrage am Rheinufer bestätigt meine Vermutung: Die befragten Menschen verstehen unter «CleanSolution Ökostrom» einen Strom, der naturverträglich – und damit auch ganz klar fischschonend – produziert wird.
«Das Kraftwerk hat viel unternommen»
Patrick Wasem ist Fischereiaufseher am Schaffhauser Rhein und kennt die Situation. «Es stimmt», erklärt er, «es kommt jedes Jahr zu solchen Bildern, dass Aale, die durch die Kraftwerks-Turbinen zu Tode gekommen sind, im Rhein treiben.» Ein Jahr seien es mehr, dann wieder weniger. Dieses Jahr sehe es recht krass aus, gibt Wasem zu. «Wir haben im Moment nur etwa 200 Kubikmeter Wasser pro Sekunde und es ist darüber hinaus noch ausserordentlich klar.» Daher sehe man die Aale viel besser als in anderen Jahren; sie würden durch die geringe Wassermenge auch nicht weggeströmt, sondern blieben liegen. Zum Schaffhauser Kraftwerk meint Wasem: «Sie tun wirklich viel für die Natur, investieren jedes Jahr grosse Summen. In Renaturierungen des Rheinufers zum Beispiel.» Auch habe das Kraftwerk viel unternommen, um den Aal zu schützen. Der Erfolg indes scheint mir nicht allzu gross zu sein, wenn ich ins schnapsklare Wasser schaue.
Am 31.1.2017 berichtete auch der «Kassensturz» (SRF 1) über das Thema:
Bis Frühling 2016: Aalabstiegs-System
Was macht das Kraftwerk für den Schutz der Aale konkret? Dr. Walter Vogelsanger, Leiter der Arbeitsgruppe Fischpass des Schaffhauser Kraftwerks, schreibt auf meine Anfrage: «Natürlich ist es uns als Kraftwerksbetreiber bewusst, dass Turbinen für abwandernde Aale ein Problem darstellen. Leider ist unseres Wissens bisher dafür weltweit keine befriedigende Lösung in Sicht. Das Kraftwerk Schaffhausen ist grundsätzlich mit ‹fischfreundlichen› Turbinen ausgerüstet (geringe Drehzahl, grosser Abstand der Turbinenschaufeln). Es ist aber eine Tatsache, dass vor allem der Aal von seinem Verhalten her (sucht bei der Abwanderung die stärkste Strömung), durch seinen geringen Durchmesser (ermöglicht ihm das Durchschlüpfen bei Rechenanlagen) und durch seine Körperlänge (grösseres Risiko von Verletzungen an den Schaufeln) besonders gefährdet ist. In einschlägigen Studien sind die jeweiligen Mortalitätsraten untersucht worden. Allerdings ist dabei darauf hinzuweisen, dass das Kraftwerk Schaffhausen am Hochrhein das oberste von rund 20 Kraftwerken ist und gemäss Untersuchungen kaum ein Aal das Meer erreicht. Eine isolierte Lösung beim Kraftwerk Schaffhausen kann sich zwar möglicherweise positiv auswirken, verlagert das Problem aber einfach nur rheinabwärts.»
Trotzdem habe das Kraftwerk im Jahr 2012 ein sogenanntes «Aalabstiegs-System» als Pilotanlage installiert, um Erfahrungen mit solchen technischen Lösungen zu sammeln. Das System habe sich in Laborversuchen und in kleineren Gewässern bewährt, sei aber beim Kraftwerk Schaffhausen an Grenzen gestossen (sehr grosser Unterhalts- und Reinigungsaufwand, Probleme bei der Anschwemmung von Kies usw.). Die Anlage sei mit sehr hohem finanziellem Aufwand in Betrieb gewesen, der Versuch habe dann aber im Frühling 2016 abgebrochen werden müssen, so Vogelsanger.
Fisch-Schutz bei Turbinenherstellern
Bei den verschiedenen Turbinenherstellern gibt es Anstrengungen, Fische zu schützen: Voith Siemens Hydro beispielsweise hat die sogenannte «Minimum Gap Runner-Technologie» für Kaplan-Turbinen entwickelt. Und zwar nicht primär aus Liebe zum Fisch, sondern weil in Nordamerika (einem entsprechend wichtigen Markt) das US-Energieministerium die auf 20 bis 40 Jahre befristeten Wasserrechte nur erneuert, wenn der Nachweis gelingt, dass mit den neuen Turbinen sowohl die Stromausbeute steigt als auch die negativen Umweltauswirkungen sinken.
Beim Kraftwerk Schaffhausen hat man sich dieser neuen Technologie noch nicht zugewandt, wie die Antwort von Dr. Walter Vogelsanger auf meine entsprechende Anfrage nahelegt: «Zur möglichen Installation der ‹Minimum Gap Runner-Technologie› gemäss Ihrem Mail kann ich keine Aussage machen. Ich werde diese Frage aber in unsere Arbeitsgruppe Fischpass einbringen.»
Wird sich etwas ändern?
Die Kaplan-Turbinen im Rhein sind Jahr für Jahr verantwortlich für Massen an toten Aalen. Und es muss davon ausgegangen werden, dass auch andere Fische in den Turbinen den Tod finden.
Zwar zeigt die Schaffhausen Kraftwerk AG glaubhaft auf, dass sie viel investiert für die Renaturierung des Rheins. Das ist wertvoll und wir alle begrüssen und unterstützen solche Projekte, überhaupt keine Frage.
Nur: Ist das genug? Reicht das, was bisher getan worden ist, um beim produzierten Strom von «CleanSolution Ökostrom» sprechen zu dürfen? Ist diese Art der Stromproduktion naturverträglich, ja «grün», und kann man sich mit dem Konsum dieses Stroms «für die Natur in der Region Schaffhausen engagieren», wie es beim Hersteller heisst?
Die Bilder des Rheins stecken mir tief in den Knochen. Es wird gezielt geworben mit der Bereitschaft vieler Konsumenten, für die Natur mehr zu bezahlen. Und gleichzeitig das Aal-Gemetzel in Kauf genommen.
Seit sechs Jahren geht schlicht nichts...
Nicole Egloff hat im Jahr 2012 ihre Masterarbeit zum Thema «Fischabstieg bei Flusskraftwerken und die Bedeutung von Umgehungsgerinnen» verfasst, unterstützt von der eawag und der Uni Zürich. Sie hielt fest, dass seit 2011 die Gewässerschutzgesetzgebung in Kraft sei, wonach die Kantone Massnahmen ergreifen müssen, die «die freie Fischwanderung bei Wasserkraftwerken in beiden Richtungen gewährleisten: Dazu gehören sowohl Fischaufstiegshilfen als auch Fischabstiegshilfen». Passiert ist allerdings bis heute noch praktisch nichts. Nicht einmal ein Prozent der über 10?000 Querbauwerke über 50 cm in der Schweiz erfüllt diese Forderung jetzt, sechs Jahre später!
Frank
Bei uns in Eglisau hat es stellenweise auf Flächen von 10 x 20 Metern mehrere hundert gehäckselter Aale. Besonders gut siehst du es im Winter